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ZUR VORGESCHICHTE DES LANOLINS
von Prof. Dr Th. HUSEMANN in GÖTTINGEN.
(1. Fortsetzung.)
O E S Y P U M   U N D   H Y S S O P U S.

Nur eben gestreift wird in den bisherigen historischen Arbeiten über das Wollfett der Alten die in sprachlicher Beziehung ungemein interessante Frage über dessen Benennung. Etwas darüber hat der oben ernannte englische Patentprocess zu Tage gefördert, indem sich unmittelbar danach zwischen H e b b e l e r und I n c e in dem Pharmaceutical Journal eine kurze Polemik erhob, ob man Oesypus oder Oesypum zu sagen habe. Damit ist aber nur ein Theil der Frage angedeutet, allerdings der für die Praxis und für die Gegenwart wichtigste ; dass aber der Namen sprachlich weit interessantere Gesichtspunkte bietet, habe ich in meiner Kritik über Huber's Soranus angedeutet. Diese Andeutungen werde ich hier weiter auszuführen mir gestatten.

Der Frage, ob Oesypus oder Oesypum richtiger sei, habe ich eine besondere practische Wichtigkeit deshalb vindicirt, weil es meines Erachtens nur eine Frage der Zeit ist, dass das gereinigte wasserfreie Wollfett, dem jetzt gewöhnlich die von Liebreich eingeführte Benennung "Lanolinum anhydricum" gegeben wird, in die Pharmncopöen der Culturstaaten Aufnahme findet und dann die Frage sich aufwerfen wird, welchen Namen man diesem Producte geben soll. Dass die Benennung Lanolinum anhyrdricum manchen Bedenken unterliegt, kann nicht geleugnet werden. Man ist versucht, aus diesem Namen zu schliessen, dass dieses Product aus dem Lanolin durch Wasserentziehung dargestellt werde, während in Wirklichkeit das Lanolin eine Emulsion aus dem reinen Wollfett ist. Es würde aber Niemand einfallen, Zucker als anhydrisches Zuckerwasser zu bezeichnen. Ausserdem wird die Bezeichnung anhydrisch in der Regel auf chemische Verhältnisse bezogen, und bei der Lanolinbereinigung handelt es auch nicht um chemische, sondern um rein-mechanische Processe (Emulsion). Man wird von der Bezeichnung aber um so lieber absehen wollen, als ein mit Lanolinum anhydricum wesentliche Uebereinstimmung, aber einen etwas niedrigeren Schmelzpunkt darbietendes und mittelst einer anderen Abscheidungsmethode gewonnenes gereinigtes Wollfett unter den Namen "Adeps lanae" im Handel ist, und man bei Entwerfung von Pharmakopöen nicht gern die Benennungen bestimmter Fabriken benutzt. Man wird daher wohl sich entschliessen, auf den Namen zurückzugreifen, den das Wollfett der Alten führte, vielleicht mit dem Zusatze "purus oder depuratus," um den höheren Grad der Reinheit des modernen Praeparates anzudeuten.

In dem Streite zwischen Hebbeler und Ince, von welchen Ersterer die auch von Wulfsberg gebrauchte Form Oesypum, Ince die auch in der Arbeit Liebreichs benutzte masculinische Form vorzieht, muss ich mich auf Seite Hebbelers stellen. Ince will Oesypus geschrieben wissen, weil das die ursprüngliche griechische Bezeichnung sei. Unsere für Recepte bestimmten Benennungen officineller Drogen nehmen wir aber nicht aus dem Griechischen, sondern aus dem Lateinischen, wir sagen z. B. sinapis und nicht sinapi, obschon das griechische Wort mitunter als indeclinables Neutrum im Lateinischen vorkommt, Ceratum und nicht Cerotes u. s. w.

Für das fragliche Wort gibt es aber im klassischen Latein, wenn man von der unten weiter zu besprechenden corrumpirten Form Hyssopus absieht, keine andere Form wie "Oesypum." Hebbeler bezieht sich in seiner Auslassung besonders, und mit Recht auf Plinius Naturgeschichte, in welcher allerdings an mancher Stelle über das Geschlecht des Wortes kein Zweifel herrschen kann, z. B. in der ausführlichen Beschreibung (lib. 29 c. 27) : "Oesypum fit pluribus modis, sed probatissinium" "Oculis utilissimum contra iflamationes" und auch da wo Plinius das Ladanum für von den Bärten und Knieen der Ziegen abgekratzten Wollschmutz erklärt : "et esse Oesypum hircorum barbis membrisque villosis inhaerens." Ein anderer für Oesypum nicht unwichtiger Classiker, welchen schon Liebreich anführt, der den Nachweis liefert, dass das Wollfett im Alterthume stark als Cosmeticum benutzt wurde, ist Ovid. In seiner Ars amandi gebraucht er zwar nicht den Singularis "oesypum," aber den dazu gehörigen Pluralis "oesypa" (möglicherweise als plurale tantum) :

    "Oesypa quid redolent, quamvis mittantur Athenis,
    Demptus ab immundae vellere succus ovis."
Ebenso in dem Remedia amoris :
    "Pyxides invenies et rerum mille colores.
    Et fluere in tepidas oesypa lapsa sinus."

Ein Masculinum Oesypus kommt bei keinem römischen Autor vor. Im Griechischen haben wir allerdings die Form oisupos, aber keineswegs immer als Masculinum. Den Beweis dafür liefert namentlich das dem Hippokrates zugeschriebene, aber der knidischen Schule angehörige Buch de morbis mulierum, wo sich der Pluralis oisuph als Accusativ und Neutrum findet : h to legomenon oisuph xhra koyai kai foxai. Während hier das auf einen Sing. neutr. oisupos hinweisende Neutr. plur. nicht zu verkennen ist, wird auch oisuph als Femm. bezeugt, und zwar seltsamer Weise in dem Lexicon des Erotianus zu Hippocrates (Ed. 1564 p. 38), unzweifelhaft grade im Hinblicke auf die citirte Stelle, denn es handelt sich um den Schmutz der Ziegen, das obenerwähnte Ladanum, nicht um das Wollfett. Daneben erwähnt Erotianos aber allerdings auch der gebräuchlicheren Form im Genitiv (ths oisuphs h oisupou ekatervs gar legetai.) Eine zusammengezogene Form oisph aigos findet sich in einem dem Galen zugeschriebenen Lexicon zu Hippokrates. Bei Dioskorides kommt dagegen nur das Masculinum oisupos, pou vor, bei Galen neben dem Maskulinum auch oisupos als Femininum, und zwar unmittelbar neben dem Masculinum (ei de mh touto ( sc . erion apluton die ungewaschene Wolle) alla thn oisupon ekeinou epemballein tv micqenti. oti ameiuvn o Atticos oisupos apantos allou, ginvkeis) im 14. Buche der Methodus medendi (Ed. Kühn, X, 968 1). Auch Oribasios hat oisupos als Masculinum. Ein Neutrum oisupon , auf welches vom verschiedenen Lexicographen, z. B. von Gorraeus hingewiesen wird und das auch H u b er in der Aufzählung der Drogen der S o r a n u s benutzt, ist von mir in keinem griechischen Autor aufgefunden worden. Dagegen kommen verschiedene Veränderungen des Wortes vor. Eine davon, welche beweist, dass das s in oisupos scharf ausgesprochen wurde, ist Verdopplung desselben zu oissupos , wie sie sich in einem Codex des Oribasius und in Aëtius, Tetrabibl. (lib. II serm. 4. 563) findet. Bei dem letztgenannten Autor heisst es schon in der Ueberschrift rupos probatvn exou o oissupos Schmutz der Schafe, woraus Oesypus bereitet wird. Häufiger ist dann die ebenfalls mit Verdopplung des s. einhergehende, aber intensivere Alteration darbietende Form ussvpos , die sich an einer anderen Stelle, des Aëtius (lib. II serm. 5 c. 563), bei Paulus von Aegina und Nicolaus Myrepsus findet. (Bei Aëtius lassen sich die meister Stellen über oisupos nicht vergleichen, weil der griechische Text noch nicht völlig edirt ist. Griechisch, sind nur das 4-8 und das 10-12 Buch erschienen. Die Hauptsachen über Wollfett finden sich aber im 16 Buche, wovon nur lateinische Uebersetzungen puplicirt sind. Diese Verwandlung von oisupos in den Namen eines Gewächses, das man schon in alten Zeiten medicinisch verwendete, frappirt auf den ersten Blick, weil man auch bei angestrengtem Nachdenken keine sachlichen Beziehungen von Isop und Wollschweiss finden kann. Die sehr einfache Erklärung dafür gibt, wie ich schon in meiner Recension des Huber'schen Soranus andeutete, der Itacismus, für welchen beiläufig bemerkt von medicinischen Wörtern auch der im Mittelalter in Isofagus vielfach verwandelte Oesophagus ein verwertbares Beispiel abgibt. Es ist jetzt keinem Philologen mehr zweifelhaft, dass die Alten verschiedene Diphthongen und insbesondere das é wie é aussprachen. Man würde dann unter Berücksichtigung der Schärfe des s zunächst zu issopos und issvpos gelangen, und diese Formen und noch eine dritte issoupos lassen sich wirklich nachweisen. Sie finden sich bei Soranus von Ephesos neben issvpos und entsprechen dem lateinischen isopus, das sich als Bezeichnung des Wollfettes in den mittelalterlichen Übersetzungen arabischer Schriftsteller, z. B. in der Uebersetzung der Simplicia des jüngeren S e r a p i o n von S i m o n J a n u e n s i s (1473) häufig genug findet. Der Uebergang des é in u und umgekehrt wie bei biblos und bublos kann ebenso wenig etwas auffälliges haben wie die Verwandlung des Spiritus lenis in einen Spiritus asper, für die sich Beispiele genug aus der Naturgeschichte z. B. irax und ierax geben liessen.

Die späteren Griechen haben bestimmt durchgängig Hyssopos gesprochen und geschrieben. Wenn es sich in den Ausgaben nicht findet, sondern oisupos , so ist das auf die Herausgeber, in erster Linie auf die Humanisten zurückzuführen, denen sich dann später die Philologen allgemein angeschlossen haben. Indem man das Wort oisupos gewiss mit vollem Rechte mit ois; (ovis) zusammen brachte und es als oios rupos , Schmutz der Schafe, was auf eine masculine Form führen würde, oder als oios lipos Schaffett, was zu der Neutrumform passte, auffasste, hielt man an den Ansicht fest, dass ussopos eine in der Barbarei des Mittelalters entstandene Form sei, die überall beseitigt werden müsse, und setzte da, wo das Wort sich als Bezeichnung für Wollfett fand, den oisupos des Dioskorides. Mitunter kommt es dann freilich vor, dass ussvpos für Wollfett stehen bleibt, wie in einem Pessariumrecepte in den beiden Ausgaben des Soranus von Ermerins (1859) und V. R o s e (1882), wo sich ussvpos mitten zwischen Butter, Gänse- und Hühnerfett als unverkennbares Fett der Schafwolle dem aufmerksamen Pharmakologen auf den ersten Blick geltend macht (vgl. Gött. Gel. Ang. 1894. No. 4).


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